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Themenweg zur jüdischen Ortsgeschichte Hottenbachs wurde der Öffentlichkeit vorgestellt

von Hermann Mosel

HOTTENBACH. Anfang des vergangenen Jahres wurde Hottenbach eine von zehn Modellgemeinden des Projektes KuLaDig Rheinland-Pfalz. Das Kürzel steht für die drei Begriffe Kultur-Landschaft-Digital. Intention ist die digitale Erfassung und Präsentation von Kulturlandschaften in Rheinland-Pfalz, die dadurch sichtbar, erlebbar und nutzbar gemacht werden sollen. Die teilnehmenden Gemeinden entscheiden selbst, welche Objekte, Bräuche oder kulturellen Hinterlassenschaften vor Ort identitätsstiftend sind oder waren.

Da im 19. Jahrhundert annähernd ein Fünftel der Einwohnerschaft Hottenbachs jüdisch war, hatte sich die Gemeinde dafür entschieden, sich mit dem Thema „Landjudentum in Hottenbach vom 17. bis 19. Jahrhundert“ um eine Teilnahme zu bewerben. Ortsbürgermeister Hans-Joachim Brusius konnte rund ein Dutzend Interessierte gewinnen, die sich in einer Arbeitsgruppe zusammenfanden. Über mehrere Monate hinweg sammelte man akribisch Geschichte und Geschichten. Zehn Stationen  konnten so erfasst werden, die für das Landjudentum und die Hottenbacher Kommune von kulturgeschichtlichem Interesse waren oder die einen Bezug zum Judentum aufweisen. Diese zehn Stationen wurden zu einem Themenweg zusammengestellt, deren geschichtliche Hintergründe über QR-Codes vor Ort abgerufen werden können. Zur Präsentation des 2,2 Kilometer langen Weges konnte Hans-Joachim Brusius bei seiner Begrüßungsansprache einen großen Interessentenkreis willkommen heißen. Darunter auch Monika Fuhr, die Antisemitismusbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz, die das Hottenbacher Projekt als „wichtiges gesellschaftspolitisches Thema“ wertet und vor allem die gewählte digitale Art der leicht zugänglichen Vermittlung von Wissen hervorhob. Fuhrs Fazit: „Sie leisten hier einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitimus.“ Auch VG-Bürgermeister Uwe Weber dankte der Gemeinde für „die Bewahrung des kulturhistorischen Erbes.“

Nach der Eröffnung machte sich eine 60 bis 70-köpfige Gruppe auf den Weg die zehn Stationen zu erkunden.

Die Evangelische Pfarrkirche

Die Evangelische Pfarrkirche, die von Pfarrer Erik Zimmermann, einem profunden Kenner der lokalen Geschichte, im KuLaDig-Beitrag mit Videoclips  vorgestellt wird. Auch bei der Erkundungstour erzählte  der Pfarrer vom Überfall des Schinderhannes auf den jüdischen Händler Wolf Wiener, bei dem sowohl der Ortsvorsteher, wie auch der Küster, das Läuten der Sturmglocke verweigerten und Wiener stattdessen aufforderten doch selbst in das christliche Gotteshaus zu gehen und die Glocke zu läuten, wohl wissend, dass dieser niemals eine christliche Kirche betreten wird.

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Der Oberhof

Der Oberhof, ein stattliches ortsbildprägendes Gebäude aus dem Jahr 1792, das in napoleonischer Zeit das Bürgermeisteramt, die Mairie, beherbergte. Dort mussten nach einem Dekret der französischen Verwaltung vom 20. Juli 1808 die jüdischen Familien binnen drei Monaten erscheinen, um sich fortan feste Vor- und Familiennamen eintragen zu lassen.

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Die ehemalige Synagoge

Die ehemalige Synagoge in der Ringstraße, die heute als Wohnhaus dient und im Keller noch immer eine Mikwe, ein rituelles Bad, aufweist, konnte dank projektbezogener Spenden virtuell von Thomas Schneider (Kastellaun) rekonstruiert werden. Die virtuelle Rekonstruktion vermittelt so ein Bild, wie die Synagoge einst einmal ausgesehen haben könnte. Musikalisch unterlegt ist der hervorragend umgesetzte Beitrag mit dem jüdischen Bittgebet Avinu Malkeinu. Der Sänger Shulem Lemmer aus New York hat das Lied dafür kostenlos zur Verfügung gestellt.

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Kriegerdenkmal auf dem Friedhof

Das in den 1920er Jahren errichtete Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges steht zwar auf dem christlichen Friedhof, darf allerdings nicht vergessen lassen, wie Bürgermeister Brusius beim Rundgang betont, dass auch jüdische Weltkriegsteilnehmer aus Hottenbach für das Deutsche Reich in diesen Krieg gezogen waren. Namentlich bekannt sind neun jüdische Soldaten aus der Gemeinde.

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Gasthaus Faust

Kriegsteilnehmer, die sich im Kriegerverein organisierten, tagten im Gasthaus Faust, das schon seit 1887 als Wirtshaus betrieben wird. Hier trainierte auch der Turnverein, hier sang der Männergesangverein und hier wurde im Jahr 1894 ein Ortsverein des Hunsrücker Bauernvereins gegründet.

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Haus "Stienes"

Dort, wo sich die drei Straßen Ringstraße, Im Brühl und Sulzbacher Straße treffen, findet sich das Haus Stienes, ein wunderschönes Fachwerkhaus aus dem Jahre 1710. Erik Zimmermann nahm das Erbauungsjahr zum Anlass einen Bogen in jene Zeit zu schlagen, als auch in Hottenbach die ersten jüdischen Familien ansässig wurden.

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Der jüdische Friedhof

Der jüdische Friedhof an der Straße nach Sulzbach wurde um das Jahr 1880 eingerichtet. Während des Naziterrors wurde der Friedhof geschändet. Heute liegt er in einer Denkmalzone. Von zwei älteren jüdischen Begräbnisstätten gibt es hingegen keinerlei Spuren mehr. Christof Pies, Vorsitzender des Förderkreises Synagoge Laufersweiler e.V. , richtete bei der Vorstellung der früheren Begräbnisstätte die Bitte an die Antisemitismusbeauftragte Fuhr, man möge doch in Rheinland-Pfalz pauschal alle noch erhaltenen jüdischen Friedhöfe unter Schutz stellen.

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Gasthaus Dahlheimer

Bereits seit mehr als 250 Jahren gibt es in der Ringstraße das Gasthaus Dahlheimer, in dessen Obergeschoss es einen großen Saal gibt, der gewiss schon viel erlebt hat. Denn bis heute gilt das Wirtshaus als Kristallisationspunkt für das soziale Leben in Hottenbach. Inwiefern sich daran auch die jüdischen Einwohner beteiligten, lässt sich rückblickend nur schwer feststellen. Im Text zu diesem Objekt ist von jüdischen Mitgliedern in diversen Vereinen die Rede und von jüdischen Lieferanten des Gasthauses.

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Haus Wolfe

Unweit des heutigen Gemeindehauses, am Ortsausgang Richtung Weiden, findet sich das Haus Wolfe, in dem einst ein Ladenlokal die Hottenbacher mit Lebensmitteln und „Kolonialwaren“ versorgte. Der Laden wurde von der jüdischen Familie Levy geführt, die im Jahr 1890 in die USA auswanderte und das Gebäude an einen christlichen Kaufmann veräußerte. Rund um die Familie Levy hielt sich bis in jüngste Vergangenheit ein antisemitisch motiviertes Gerücht um eine Brandstiftung im benachbarten Stipshausen. Einem genaueren Faktencheck hielt dieses Gerücht allerdings nicht stand.

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Haus Allmayer

In der Hauptstraße, gegenüber des Kaufhauses Levy (Haus „Wolfe“), hatte im 19. Jahrhundert der Pferdehändler Nathan Allmayer sein Anwesen. Er gehörte zu den wenigen wohlhabenden jüdischen Einwohnern des Ortes. Ansonsten galt die jüdische Gemeinde in Hottenbach als bettelarm. Nachdem die Nachfahren Benny und Julius Allmayer ihren Pferdehandel nach Kirn verlegten, wurde das Anwesen verkauft. Später wurde in dem Gebäude die Bäckerei Röhrig betrieben.

Im Kontext zur Familie Allmayer, die als zehnte Station vorgestellt wurde, finden sich aus deren familiären Umfeld auch Opfer des Nationalsozialismus. Zur Zeit der Naziherrschaft lebten nur noch wenige Juden in Hottenbach. Dennoch ist die Zahl jüdischer Menschen, die in Hottenbach geboren wurden oder zeitweise dort lebten und in Konzentrationslager gesteckt wurden, mit neunzehn Personen vergleichsweise hoch. Von den Deportierten überlebte nur Martha Levy diese Schreckenszeit. Obwohl auch dieses dunkle Kapitel im Rahmen der Vorarbeit recherchiert worden war, taucht dazu bei KuLaDig bislang kein Dokument auf.

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Sowohl bei der Begrüßung, wie auch an der ehemaligen Synagoge erfreute die Klarinettistin Irith Gabriely gemeinsam mit Norman Reaves an der Violine die Teilnehmer des Rundganges mit bekannten jüdischen Liedern wie Hevenu shalom aleichem oder Mazel Tov. Die israelische Klarinettistin Irith Gabriely ist im Hunsrück keine Unbekannte. Schon im Jahr 2011, bei der Gedenkveranstaltung 100 Jahre Synagoge Laufersweiler, begeisterte die versierte Musikerin dort mit ihrem hervorragenden Klarinettenspiel. Und am Abend im Kaff-Garten sollte das Publikum noch wesentlich mehr von ihrem Können zu hören bekommen. Gabriely und Reaves touren gemeinsam mit Peter Przystaniak (Klavier) als Ensemble Colalaila über die großen Bühnen der Republik: Berlin, München, Frankfurt und nun schon zum zweiten Mal bei Kaff in Hottenbach. Bereits im Jahr 1995 zog das Trio mit seinem Repertoire, einer gelungenen Mischung als Klezmer, Klassik, Swing und Eigenkompositionen, die Zuhörer in seinen Bann. Doch vorher gab es im Garten des Gasthauses Dahlheimer erst einmal jüdische Gerichte. Ein Klassiker aus der Hunsrücker Küche, der auf jüdischen Einfluss zurückgeht, durfte dabei natürlich nicht fehlen – der Schales, dessen Name auf den jiddischen Begriff Schalet zurückgeht und diverse Sabbatspeisen meint, die am Freitag zubereitet wurden und am Sabbat ohne weiteren unzulässigen Arbeitsaufwand aufgetischt werden konnten. Der osteuropäische jüdische Eintopf Tscholent geht sprachlich ebenfalls auf dieselbe Wurzel zurück.

Wer den Themenweg nicht vor Ort in Augenschein nehmen kann, hat dazu eine Alternative auf der KuLaDig-Seite im Internet: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-343458

Eine Liste mit Opfern des Naziterrors, die in Hottenbach geboren wurden oder zeitweise dort wohnten, findet sich bei Alemannia Judaica, einer Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: https://www.alemannia-judaica.de/hottenbach_synagoge.htm

Hermann Mosel