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KuLaDig: Bericht über die Dorfbegehung am 04.05.2021

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Neues vom KuLaDig-Projekt in Hottenbach

KuLaDig – Was ist das? Kultur – Landschaft – Digital: Dahinter verbirgt sich eine Plattform zur digitalen Erfassung von Kulturlandschaftselementen. Gefördert vom Land Rheinland-Pfalz ist Hottenbach in diesem Jahr als Modellkommune anerkannt worden. Darüber haben wir schon berichtet. In Hottenbach widmet man sich der Geschichte des Landjudentums der vergangenen Jahrhunderte. Schließlich war im 19. Jahrhundert fast jeder fünfte Hottenbacher Bürger Teil der jüdischen Glaubensgemeinschaft.

Was hat sich bisher getan? Trotz Corona hat sich eine interessierte und aktive Projektgruppe aus Hottenbach und Umgebung zusammengefunden. Mehrere Videokonferenzen gab es schon, Recherche vieler bereits bekannter Quellen wurde betrieben, so dass die Hottenbacher Projektgruppe schon mit reichlich Wissen und vielen Ideen gespannt den Besuch der Fachgruppe der Uni Koblenz zur Ortsbegehung empfing.

Sturm und Nieselregen am Vormittag waren zwar nicht gerade die besten Voraussetzungen für die Ortsbegehung. Aber die Hottenbacher machten das beste daraus und empfingen die Gäste unter der Vorhalle des Gemeindehauses. Von der Uni Koblenz kamen Professor Michael Klemm und Florian Weber vom Institut für Kulturwissenschaften. Dazu Matthias Dreyer von der SGD Süd und drei Studierende der Fachrichtungen Kulturwissenschaften und Germanistik zur Unterstützung der Projektgruppe vor Ort bei den Erhebungen. Heißer Kaffee und ein kleines zweites Frühstück erleichterten das Kennenlernen.

„Der Hunsrück ist rau, aber herzlich“ begrüßte Hans-Joachim Brusius die Gäste. Mit einer kurzen Präsentation des Themas und der kulturgeschichtlichen Objekte Hottenbachs erläuterte er das Konzept, das in Hottenbach umgesetzt werden sollte. Am Ende könnte ein digitaler Dorfrundgang mit kleinen Schildern und QR-Codes daraus entstehen, der gleichwohl Hottenbacher als auch Gäste auf diesen Teil der besonderen Geschichte von Hottenbach aufmerksam macht.

Ganz viel Geschichte steckt am ersten Objekt das die Beteiligten besuchten: Pfarrer Zimmermann stellte einige der vielen Highlights der Hottenbacher Kirche vor. Bauwerk und Geschichte sind das eine, aber KuLaDig kann beispielsweise auch die Stumm-Orgel im Handy erklingen lassen. Ganz spannend fanden die Koblenzer die Geschichte vom Überfall der Schinderhannes-Bande auf den Händler Wolf Wiener. Die Sturmglocke im Kirchturm haben die Hottenbacher nicht geläutet, so war Wiener der Bande ausgeliefert. Er solle selbst läuten, antwortete man ihm auf die Hilferufe seiner Familie. Aber er, als fest im Glauben stehender Jude, konnte die christliche Kirche nicht betreten und so zog die Bande mit dem Hab und Gut des Händlers von dannen.

Als das Ortsbild prägende Gebäude darf das „Schelle Haus“, die ehemalige Mairie (Bürgermeisteramt der napoleonischen Zeit) nicht fehlen. Der langgestreckte Bau mit seinem Mansarddach kann eine wechselvolle Geschichte aufweisen. Die französische Herrschaft hatte für die jüdischen Bürger die Freiheitsrechte gebracht, die sie mit ihren christlichen Nachbarn gleichstellte, wenn auch die tatsächliche Gleichheit im Leben und Umgang miteinander nicht immer ankam. Vielen älteren Zeitgenossen ist auch das letzte Kapitel der Gasthausgeschichte bekannt: Waren die Kneipe „Rumpelstilzchen“ mit „Ede“ in Hottenbach Kult für eine ganze Generation.

Ehemalige Mairie, sog. „Schelle Haus“ oder Oberhof

Natürlich fand die ehemalige Synagoge in der Ringstraße besonderes Interesse. Heute als Wohnhaus genutzt, hatte das Gebäude eine wechselvolle Geschichte. Als Synagoge, jüdische Schule mit Lehrerwohnung gebaut, wurde sie wie alle jüdischen Bethäuser in der Pogromnacht 1938 geschändet. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur noch wenige jüdischen Mitbürger, darunter die Familie Braun, die vorher aus der Synagoge in die obere Hauptstraße gezogen war. Viele Juden hatten Hottenbach bereits vorher verlassen und waren geflohen. Das Interieur wurde zerstört, aber das Gebäude blieb erhalten. Im Krieg dann Unterkunft für Zwangsarbeiter, nach dem Krieg dann sehr beengte Wohnungen für Heimatvertriebene. Eine Besonderheit ist aber geblieben: Im Keller befindet sich eine der wenigen heute noch erhaltenen rituellen Bäder (Mikwe). Besitzer Michael Meinold führte einige der Gäste dann sogar noch in den Keller

Michael Meinold erklärt der Projektgruppe die baulichen Veränderungen von der Synagoge zum heutigen Wohnhaus

Wie haben christliche und jüdische Bevölkerung zusammengelebt? Sie haben in der Ringstraße Tür an Tür gewohnt, haben gemeinsam gefeiert und getrauert, aber wie weit waren sie in das Dorfleben integriert? Wenigstens acht junge jüdische Männer gingen als deutsche Soldaten in den Ersten Weltkrieg, wie die noch erhaltene Ehrentafel ausweist. Und wie war es in den Vereinen? Turnverein, Schützenverein und Gesangverein (davon gab es sogar einst zwei!), wirkten die jüdischen Bürger dort auch mit? Beim Gesangverein war Aron Haas 1863 schließlich einer der Gründerväter.

Als weiters Objekt ist das Haus „Stienes“ in der Ringstraße als hervorgehobenes Haus der bäuerlichen Bevölkerung des frühen 18. Jahrhunderts zu nennen. Es war die Zeit als mehr und mehr jüdische Familien in den Hunsrück kamen und auch hier in Hottenbach sesshaft wurden.

Vom alten jüdischen Friedhof ist heute nichts mehr zu sehen. Aber die Lage ist bekannt, da es mehrere alte Landkarten gibt, die diesen ursprünglichen Begräbnisplatz direkt außerhalb des Dorfes über dem Langmesbach am Weg nach Heuchelheim zeigen. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde der „neue“ jüdische Friedhof an der Straße nach Sulzbach angelegt. Auf ihm sind noch 39 Grabsteine erhalten. Dank Jan E. Scholtens sind sie wieder vorsichtig gesäubert und wurden genaustens dokumentiert. Sicher lassen sich mit den Namen Geschichten und Bilder verbinden. Das möchte KuLaDig. Geschichte soll mit allen Sinnen erfahrbar werden.

In Naalschmidts Saal des Gasthauses Dahlheimer wusste Gert Dahlheimer aus eigenen Erinnerungen und mit vielen noch vorhandenen Erinnerungsstücken Geschichten zu erzählen. Auch spannend, denn schließlich gab es drei Gasthäuser im Dorf. Gert Dahlheimer wird die alten Wirtschaftslisten nochmal darauf prüfen, ob auch die jüdischen Mitbürger hier zum Karten kamen und ob auch sie auch die Zeche für das eine oder andere Bier schuldig blieben und so den Weg ins Schuldenbuch fanden.

Gert Dahlheimer erläutert einen alten Lageplan

Nach so viel Input war die Dorfrunde an diesem kalten Maimorgen schnell vorbei. Noch viel hätte berichtet werden können. Aber schließlich soll ja auch noch einiges den Weg in die digitale Welt von KuLaDig finden um damit für die Gegenwart und die Nachwelt gesichert zu sein.

Am Gemeindehaus erwartete die Gruppe deftiger Hunsrücker Spießbratenimbiss, natürlich vom Schinderhannes-Grill. Hottenbach hat viel zu bieten, war die Koblenzer Projektgruppe überzeugt. Ein Konzept liegt in groben Zügen vor. Professor Klemm wies nochmal daraufhin, dass man zu dem einen oder anderen Objekt noch die thematische Klammer fügen muss, aber die Hottenbacher sind schon auf einem guten Weg. Und mit der Unterstützung der Studentinnen wird hier viel Interessantes in neuem Licht präsentiert werden.

 

Professor Michael Klemm (rechts) fasst seine Eindrücke zusammen.

Und so geht es weiter: Hottenbacher Projektgruppe formuliert einen Entwurf zum Themenbeitrag Landjudentum in Hottenbach und stellt das Dorf in einem Ortsbeitrag vor. Die Studierenden und die Projektler werden im Sommer dann gezielt die Hottenbacher nochmal nach alten Fotografien und Erzählungen befragen. Besonders schön wäre es, wenn hierbei lebhafte und vielseitige Beiträge in Form von Interviews, kleinen Videoclips und dem Wechsel von alten und neuen Bildern entstehen, die dann den Weg in die digitale Welt finden. Wer hierzu Beiträge liefern kann und möchte ist herzlich willkommen, der Dank des Projektteams ist gewiss. Bitte melden Sie sich bei Rudi Röper oder Hans-Joachim Brusius. Weitere Infos auf der Homepage www.kuladigrlp.net